Genetische Aufklärung von seltenen syndromalen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters am Beispiel einer metabolischen Skelettdysplasie
Auf zahlreichen Proteinen kommen beim Menschen langkettige Kohlenhydratketten vor – sog. Glykosaminoglykane - welche essentiell sind für das regelrechte Funktionieren dieser Proteine. Für den Aufbau dieser Kohlehydratketten ist das korrekte Zusammenspiel verschiedener Enzyme Voraussetzung, wie Glykosyltransferasen, Epimerasen and Sulfotransferasen. Angeborene Störungen der Glykosaminoglykan-Biosynthese zählen zur Gruppe der angeborenen Stoffwechselerkrankungen und manifestieren sich klinisch als seltene Skelett- und Bindegewebserkrankungen.
Die Arbeitsgruppe um PD Dr. A. Janecke und Dr.in J. Vodopiutz konnte in den letzten Jahren 3 verschiedene Enzymdefekte in der Glykosaminoglykan-Biosynthese als Ursache seltener Erkrankungen aufklären. [1-3] Mit der neuesten Publikation konnte gezeigt werden, dass Veränderungen im CSGALNACT1-Gen zu einer Störung eines frühen Schrittes in der Glykosaminoglykan-Biosynthese führen und mit milden Zeichen einer Skelettdysplasie und Bindegewebsschwäche einhergehen. Diese Arbeit ist insofern über das Forschungsfeld der Skelettdysplasien hinaus bedeutsam, da dem hierbei involviertem Enzym CSGalNAcT-1 eine wichtige Rolle sowohl in der Nerven- als auch in der Knorpelregenration beigemessen wird. [1] Weiterst wurden zwei andere im Glykosaminoglykan-Biosyntheseweg liegende Enzymdefekte als Ursache einer seltenen Bindegewebserkrankung erstbeschrieben, dem sog. musculocontracturalen Ehlers-Danlos-Syndrom, Typ 1 und Typ 2. Patienten mit dieser Erkrankung manifestieren sich mit angeborenen Fehlbildungen, ausgeprägter Bindegewebsschwäche und abnormer Blutgerinnung. [2, 3] Mit diesen Arbeiten konnte gezeigt werden, dass Störungen der Glykosaminoglykane-Biosynthese ursächlich für bestimmte, seltene Erkrankungen des Skelett- und Bindegewebes sind.
Selten ist eine Erkrankung gemäß EU-weiter Definition, wenn nicht mehr als eine Person von 2.000 EinwohnerInnen betroffen ist. Seltene Erkrankungen gelten daher auch als Waisenkind der Medizin und stellen eine besondere Herausforderung für Betroffene und das medizinische System dar. Mehr als 50 Prozent aller seltenen Erkrankungen treten bereits im Kindes- und Jugendalter auf und mehr als zwei Drittel aller seltenen Erkrankungen haben einen genetischen Ursprung. Mit der Entwicklung neuer Technologien zur Entschlüsselung des Erbgutes kann nun eine präzisere molekulare Zuordnung von seltenen Erkrankungen stattfinden. Die molekulare Aufklärung dieser seltenen Erkrankungen trägt somit einerseits zu einer verbesserten Diagnostik dieser Patientengruppe bei und ermöglicht andererseits, den Zugang zur Entwicklung individualisierter Therapien anhand des molekularen Fingerabdruckes.
Trotz der immensen Fortschritte der letzten Jahre bleibt die medizinische Betreuung von PatientInnen mit seltenen Erkrankungen weiterhin eine große Herausforderung an das medizinische System. Spezialisierte europäische Expertisezentren European Reference Networks (ERN) sollen zukünftig dafür sorgen, dass an seltenen Krankheiten leidende Menschen optimal versorgt werden. Es handelt sich hierbei um hochspezialisierte klinische Einrichtungen, die im Sinne einer überregionalen Versorgung als zentrale Anlaufstellen für definierte Gruppen seltener Erkrankungen fungieren. Am Standort Wien befindet sich das Expertisezentrum für seltene Knochenerkrankungen, Störungen des Mineralhaushaltes und seltene Wachstumsstörungen derzeit in Designation als B Zentrum. Diese Einrichtung besteht aus multidiszipinären Experten an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde (UKKJ) , an der Univ Klinik für Orthopädie und Traumatologie, der Univ Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der MedUni/AKH Wien, der Kinderorthopädischen Ambulanz am Orthopädischen Spital Speising, osteologischen Ambulanz der Inneren Medizin am Hanusch Spital und dem LBI für Osteologie und wird von der UKKJ aus koordiniert.
Wissenschaftliches Umfeld
Der klinische und wissenschaftliche Fokus von Julia Vodopiutz liegt auf der Erforschung von seltenen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters mit besonderem Schwerpunkt von neurologischen Erkrankungen, Fehbildungssyndromen und Skelettdysplasien. In vergangenen Arbeiten konnte Julia Vodopiutz bereits mehrere dieser seltenen Erkrankungen als federführende Autorin aufklären [1, 4-6] beziehungsweise mitaufklären [2, 3, 7-9]. Es besteht eine langjährige klinische Kooperation mit verschiedenen Spezialbereichen an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien sowie eine langjährige wissenschaftliche Kooperation mit der genetischen Arbeitsgruppe um PD Dr. A. Janecke und Prof. Dr. Mag. Thomas Müller, Pädiatrie I des Departments für Kinder- und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck.
Zur Person
Dr.in Julia Vodopiutz ist Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und PhD Studentin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Wien. Sie arbeitet klinisch und wissenschaftlich im Spezialbereich für angeborene Stoffwechselstörungen, Syndromologie und pädiatrische Genetik der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Durch diesen Spezialbereich werden Kinder mit seltenen Stoffwechselerkrankungen und ausgewählten genetischen Erkrankungen betreut. Frau Dr.in Vodopiutz ist Mitglied des Kernteams für den Bereich Skelettdysplasien des Expertisezentrum für seltene Knochenerkrankungen, Störungen des Mineralhaushaltes und Wachstumsstörungen. Neben ihrer Forschungstätigkeit beteiligt sich Dr.in Vodopiutz auch an der Lehre des Humanmedizinistudiums. Dr.in Julia Vodopiutz lebt mit ihrer Familie in Wien und Innsbruck.
Ausgewählte Literatur
[1] Chondroitin Sulfate N-acetylgalactosaminyltransferase-1 (CSGalNAcT-1) Deficiency Results in a Mild Skeletal Dysplasia and Joint Laxity.
Vodopiutz J, Mizumoto S, Lausch E, Rossi A, Unger S, Janocha N, Costantini R, Seidl R, Greber-Platzer S, Yamada S, Müller T, Jilma B, Ganger R, Superti-Furga A, Ikegawa S, Sugahara K, Janecke AR. Hum Mutat. 2017 Jan;38(1):34-38. doi: 10.1002/humu.23070.
[2] Loss of dermatan sulfate epimerase (DSE) function results in musculocontractural Ehlers-Danlos syndrome.
Müller T, Mizumoto S, Suresh I, Komatsu Y, Vodopiutz J, Dundar M, Straub V, Lingenhel A, Melmer A, Lechner S, Zschocke J, Sugahara K, Janecke AR. Hum Mol Genet. 2013 Sep 15;22(18):3761-72.
[3] Loss of dermatan-4-sulfotransferase 1 function results in adducted thumb-clubfoot syndrome.
Dündar M, Müller T, Zhang Q, Pan J, Steinmann B, Vodopiutz J, Gruber R, Sonoda T, Krabichler B, Utermann G, Baenziger JU, Zhang L, Janecke AR. Am J Hum Genet. 2009 Dec;85(6):873-82. doi: 10.1016/j.ajhg.2009.11.010.
[4] WDR73 Mutations Cause Infantile Neurodegeneration and Variable Glomerular Kidney Disease.
Vodopiutz J, Seidl R, Prayer D, Khan MI, Mayr JA, Streubel B, Steiß JO, Hahn A, Csaicsich D, Castro C, Assoum M, Müller T, Wieczorek D, Mancini GM, Sadowski CE, Lévy N, Mégarbané A, Godbole K, Schanze D, Hildebrandt F, Delague V, Janecke AR, Zenker M. Hum Mutat. 2015 Nov;36(11):1021-8.
[5] MED20 mutation associated with infantile basal ganglia degeneration and brain atrophy.
Vodopiutz J, Schmook MT, Konstantopoulou V, Plecko B, Greber-Platzer S, Creus M, Seidl R, Janecke AR. Eur J Pediatr. 2015 Jan;174(1):113-8.
[6] Homozygous SALL1 mutation causes a novel multiple congenital anomaly-mental retardation syndrome.
Vodopiutz J, Zoller H, Fenwick AL, Arnhold R, Schmid M, Prayer D, Müller T, Repa A, Pollak A, Aufricht C, Wilkie AO, Janecke AR. J Pediatr. 2013 Mar;162(3):612-7
[7] ATP6AP1 deficiency causes an immunodeficiency with hepatopathy, cognitive impairment and abnormal protein glycosylation.
Jansen EJ, Timal S, Ryan M, Ashikov A, van Scherpenzeel M, Graham LA, Mandel H, Hoischen A, Iancu TC, Raymond K, Steenbergen G, Gilissen C, Huijben K, van Bakel NH, Maeda Y, Rodenburg RJ, Adamowicz M, Crushell E, Koenen H, Adams D, Vodopiutz J, Greber-Platzer S, Müller T, Dueckers G, Morava E, Sykut-Cegielska J, Martens GJ, Wevers RA, Niehues T, Huynen MA, Veltman JA, Stevens TH, Lefeber DJ. Nat Commun. 2016 May 27;7:11600.
[8] Reduced sodium/proton exchanger NHE3 activity causes congenital sodium diarrhea.
Janecke AR, Heinz-Erian P, Yin J, Petersen BS, Franke A, Lechner S, Fuchs I, Melancon S, Uhlig HH, Travis S, Marinier E, Perisic V, Ristic N, Gerner P, Booth IW, Wedenoja S, Baumgartner N, Vodopiutz J, Frechette-Duval MC, De Lafollie J, Persad R, Warner N, Tse CM, Sud K, Zachos NC, Sarker R, Zhu X, Muise AM, Zimmer KP, Witt H, Zoller H, Donowitz M, Müller T. Hum Mol Genet. 2015 Dec 1;24(23):6614-23.
[9] Mutations in the gene encoding IFT dynein complex component WDR34 cause Jeune asphyxiating thoracic dystrophy.
Schmidts M, Vodopiutz J, Christou-Savina S, Cortés CR, McInerney-Leo AM, Emes RD, Arts HH, Tüysüz B, D'Silva J, Leo PJ, Giles TC, Oud MM, Harris JA, Koopmans M, Marshall M, Elçioglu N, Kuechler A, Bockenhauer D, Moore AT, Wilson LC, Janecke AR, Hurles ME, Emmet W, Gardiner B, Streubel B, Dopita B, Zankl A, Kayserili H, Scambler PJ, Brown MA, Beales PL, Wicking C; UK10K., Duncan EL, Mitchison HM. Am J Hum Genet. 2013 Nov 7;93(5):932-44. doi: