Gustav Klimts "Die Medizin" war als Fakultätsgemälde für die Universität Wien gedacht, wurde jedoch aufgrund massiver öffentlicher Kritik zurückgezogen und später während des Nationalsozialismus zerstört. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz konnte das Gemälde rekonstruiert werden und ist nun als detaillierte Nachbildung an der Fassade des Anna-Spiegel-Forschungsgebäudes am MedUni Campus AKH zu sehen.
ERROR: Content Element with uid "223272" and type "fgaleria_galeria" has no rendering definition!
Gustav Klimt (1862-1918), einer der bedeutendsten Künstler des Wiener Jugendstils, malte "Die Medizin" in den Jahren um 1900. Dieses große Leinwand-Gemälde in den Maßen von etwa vier mal drei Meter war gemeinsam mit zwei weiteren Bildern, "Die Philosophie" und "Die Jurisprudenz", als Fakultätsbild für die Decke des Festsaals der Universität Wien bestimmt. Den Auftrag dafür hatte Klimt bereits 1894 gemeinsam mit seinem Malerkollegen Franz Matsch vom k. u. k. Unterrichtsministerium erhalten. Matsch malte für diesen Auftrag das Fakultätsbild "Die Theologie" sowie das zentrale Mittelbild "Der Sieg des Lichts".
Klimts Fakultätsbilder gelangten jedoch in ihrer ursprünglichen Form nie an ihren Bestimmungsort, denn das Werk entfachte auf Grund der Aktdarstellungen heftige Debatten und empörte konservative Politiker und Vertreter:innen des Establishments, als es auf der 10. Secessionsausstellung 1901 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Schließlich trat Klimt selbst von dem Auftrag zurück und die drei Fakultätsbilder wurden privat verkauft.
Geschichte und Zerstörung
Als Klimt von dem Auftrag zurücktrat, musste er auch die Vorschüsse auf sein Honorar zurückzahlen. Das jüdische Kunstsammler-Paar August und Serena Lederer übernahmen diese Schulden und gelangten dadurch in den Besitz von „Die Philosophie“.
Klimts Künstlerkollege Koloman Moser, der gemeinsam mit Klimt 1897 die Wiener Secession begründete, erwarb zwischen 1910 und 1912 die beiden anderen Fakultätsbilder „Die Medizin“ und „Die Jurisprudenz“.
Im Jahr 1919 verkaufte die Familie Moser die zwei Fakultätsbilder und „Die Medizin“ gelangte mithilfe großzügiger Mäzene in die Österreichische Galerie. „Die Jurisprudenz“ wurde von der Familie Lederer erworben.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde die Familie Lederer aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln von den Nationalsozialisten verfolgt und ihr Besitz „arisiert“. Die Bilder wurden für die Dauer des Krieges in das Schloss Immendorf in Niederösterreich gebracht, das als Kunstdepot genutzt wurde.
Am 8. Mai 1945 steckten abziehenden SS-Einheiten das Schloss in Brand, um den nahenden sowjetischen Truppen keine Kunstwerke zu hinterlassen. Das Schloss brannte mit den dort gelagerten Kunstwerken völlig aus. Alle drei Fakultätsbilder sowie zahlreiche weitere Werke Klimts, die Teil der Sammlung Lederer waren, wurden zerstört.
Das Fakultätsbild „Die Theologie“ von Franz Matsch befindet sich bis heute im Besitz der Universität Wien. Von den drei Fakultätsbildern von Klimt existieren nur noch einige Skizzen und Schwarz-Weiß-Fotografien der Originale, da man es leider verabsäumt hatte, von den Gemälden Farbaufnahmen anzufertigen. Lediglich vom Fakultätsbild der Medizin ist ein farbiges Detail bekannt, nämlich die in Rot und Gold gehaltene Gestalt der Hygieia.
Die Wiederauferstehung der Fakultätsbilder
Im Jahr 2005 fanden die Fakultätsbilder dann doch ihren ursprünglichen Bestimmungsort. In Zusammenarbeit mit der Universität Wien realisierte das Leopold Museum die Anbringung von Schwarz-Weiß-Reproduktionen der Fakultätsbilder von Klimt an der Decke des großen Festsaales der Universität Wien. Im Rahmen der Aktion wurde auch das einzige im Original erhaltene Fakultätsbild „Die Theologie“ von Franz Matsch restauriert.
Heute ermöglicht moderne Technologie, die verlorenen Werke digital wieder zum Leben zu erwecken. 2021 startete Google Arts & Culture in Kooperation mit dem Belvedere in Wien ein Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, unter Anwendung von künstlicher Intelligenz die ursprüngliche Farbigkeit der Fakultätsbilder Klimts wiederherzustellen und einen Eindruck zu geben, wie die Bilder wirklich ausgesehen haben könnten. Das Projekt beruhte auf einem von IT-Experten Emil Wallner eigens dafür entwickelten Algorithmus sowie auf der kunsthistorischen Beratung von Franz Smola, Kurator des Belvedere. Die Resultate sind im Rahmen der umfangreichen Online-Plattform „Klimt vs. Klimt“ abrufbar.
„Die Medizin“ ist seit November 2024 auf Initiative der Medizinischen Universität Wien als großflächige Rekonstruktion an der Fassade des neu erweiterten Anna-Spiegel-Forschungsgebäudes am MedUni Campus AKH zu sehen.
Bildbeschreibung und Interpretation
Klimts „Medizin“ zeigt eine asymmetrische Komposition, bei der der „Strom des Lebens“ auf der rechten Bildhälfte zu sehen ist, während die linke Hälfte von einem hellen Lichtnebel durchflutet wird. Das Bild ist gekennzeichnet durch eine Fülle von Aktdarstellungen. Auffällig ist das Motiv der einzigen Figur auf der linken Seite, einer jungen Frau, die mit ihrer Körperhaltung Unterwerfung unter Krankheit und Tod symbolisiert. Besonders neuartig und provokant war für die damalige Zeit die Abbildung einer hochschwangeren nackten Frau. Neben ihr taucht ein Skelett auf, das die Bedrohung des werdenden Lebens durch den Tod symbolisiert. Das Hauptmotiv des Bildes ist das Leid des Menschen, dennoch zeigt es hocherotische Darstellungen, etwa eine kniende Frauengestalt mit weibliche Rundungen, vollem Haar und lieblichem Gesichtsausdruck in der Bildmitte. In der unteren Bildhälfte erscheint die einzige Figur, die sich direkt den Betrachtenden zuwendet: Hygieia. Die Göttin der griechischen Mythologie gilt als Tochter des Asklepios, dem Gott der Heilkunst. Auch sie wird als Heilgottheit verehrt und wird am Beginn des Hippokratischen Eids angerufen. Sie ist reich geschmückt und hält eine Schale, aus der eine Äskulapnatter, ebenfalls ein Symbol für die Medizin, trinkt.
Exkurs: Ein Skandal, der Kunstgeschichte schrieb
Die großen Deckengemälde im Festsaal der Universität Wien waren bereits in den Plänen des Architekten Heinrich von Ferstel vorgesehen, konnten jedoch aus Kostengründen bis zur Eröffnung des Gebäudes 1884 nicht realisiert werden. Erst zehn Jahre später erhielten Gustav Klimt und Franz Matsch den Auftrag des Unterrichtsministeriums für ein zentrales Gemälde (Triumph des Lichtes über die Finsternis) in der Mitte und vier kleinere Bilder, die allegorisch die vier Fakultäten (Medizin, Philosophie, Theologie und Jurisprudenz) der Universität darstellen sollten. Die beiden Künstler hatten zuvor gemeinsam schon Aufträge in anderen prominenten Häusern umgesetzt und genossen das Vertrauen des Ministeriums. Die ersten Entwürfe von 1894 wurden auch genehmigt, allerdings überarbeitet Klimt seine Bilder mehrmals, denn während dieser Zeit wandelte sich Klimts Stil vom Historismus hin zum Symbolismus. Der neue Stil entsprach nicht mehr dem Kunstverständnis und den Moralvorstellungen der Auftraggeber, weshalb bei der Präsentation der Entwürfe 1898 Klimts Entwürfe von der Kunstkommission des Ministeriums und der Artistischen Kommission der Universität abgelehnt wurden. Matschs Werke hingegen wurden als positiv beurteilt.
Schon bei der Vorstellung des Fakultätsbildes „Die Philosophie“ bei der 7. Ausstellung der Secession 1900 stieß Klimt auf heftige öffentliche Kritik und mehrere Professoren der Universität Wien unterzeichneten eine Petition gegen die Anbringung der Gemälde.
Einen noch größeren Skandal verursachte die erstmalige Präsentation des Fakultätsbilds „Die Medizin“ in der 10. Secessionsausstellung im Jahr 1901. Diesmal intervenierten auch zahlreiche Politiker. Konservative Vertreter kritisierten den Unterrichtsminister für dessen Unterstützung Klimts und es kam zu einer Anfrage im Abgeordnetenhaus.
Die endlos wirkenden Menschenströme in den Fakultätsbildern veranschaulichen das Gefühl des Ausgesetztseins der Menschen in einer unkontrollierbar erscheinenden Welt. Sie interpretieren die Menschheit als willenloses Werkzeug dunkler Mächte und bringen dadurch einen generellen Pessimismus zum Ausdruck. Zudem zeigte Klimt nackte Gestalten in provokanter Offenheit und schreckte auch vor Darstellungen greiser Menschen oder hochschwangerer Frauen nicht zurück. Er thematisierte Erotik und Sexualität in einer Deutlichkeit, wie es vor ihm in Wien noch niemand gewagt hatte.
Neben der offensichtlichen Aktdarstellung, die die Öffentlichkeit schockierte, wirkte für viele Universitätsprofessoren die künstlerische Umsetzung der Medizin erniedrigend, da sie nicht die Medizin als heilbringende Macht darstellte, sondern die Ohnmacht gegenüber Schicksal, Alter und Krankheit betonte.
1903 wurde das letzte der drei Auftragswerke für die Universität Wien, die Allegorie der Jurisprudenz im Künstlerhaus der Öffentlichkeit vorgestellt. Wieder erregte die Darstellung das öffentliche Ärgernis und die Auftraggeber zeigten sich schockiert ob der Hässlichkeit und Nacktheit der Figuren.
Im selben Jahr waren die Fakultätsbilder erstmals gemeinsam zu sehen. Die Artistische Kommission der Universität beanstandete nicht nur Klimts Bilder, sondern auch, dass die Bilder der beiden Künstler Klimt und Matsch nicht zueinander passten.
1905 wurde schließlich nur die Anbringung des großen Mittelbildes von Matsch genehmigt. Daraufhin teilte Klimt mit, dass er von dem gesamten Auftrag zurücktrete und auf sein Honorar verzichte. Zudem übte er Kritik an der staatlichen Kunstförderung und Einflussnahme auf die künstlerische Freiheit. Gustav Klimt übernahm danach keine weiteren öffentlichen Aufträge mehr.