Zuerst war es eine Erfolgsgeschichte: Als Gründungsmitglied der Alma Mater Rudolfina (1365) war die Medizinische Fakultät bereits im Mittelalter eine weithin anerkannte Instanz in Fragen des Gesundheitswesens. Ab dem Jahre 1399 sind Fakultätsakten erhalten, die belegen, dass sie bei Streitigkeiten zwischen Badern, Hebammen und regionalen Grundherren als Schlichtungsstelle angerufen wurde.
Zu Zeiten der Regierung Maria Theresias erlangte die Wiener Medizin erstmals internationale Bedeutung. Die Habsburgerin berief den Holländer Gerard van Swieten nach Wien. Er legte den Grundstein zur ersten Wiener Medizinischen Schule. Kapazitäten wie Anton de Haen, Maximilian Stoll, Lorenz Gasser, Anton von Störck oder der Entdecker der Perkussion, Leopold Auenbrugger, lehrten und forschten nun in der Kaiserstadt. Auf der Grundlage von bereits weit zurückreichenden Traditionen wurde das heute so bezeichnete Bedside-Teaching in dieser Zeit zur paradigmatischen Methode in der Ausbildung.
Geburtsstätte der medizinischen Spezialisierung
Mit der Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses im Jahre 1784 bekamen die Mediziner eine neue Wirkungsstätte, die sich mehr und mehr zum wichtigsten Forschungszentrum entwickelte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand durch Ärzte wie Karl von Rokitansky, Josef Skoda, Ferdinand von Hebra oder auch Ignaz Philipp Semmelweis die zweite Wiener Medizinische Schule. Die Grundlagenwissenschaft in der Medizin wurde ausgebaut und die Spezialisierung vorangetrieben: Die ersten Haut-, Augen- und Hals-Nasen-Ohren- Kliniken der Welt wurden in Wien gegründet.
Ort der Spitzenmedizin im beginnenden 20. Jahrhundert
Anfang des 20. Jahrhunderts zählte die Medizin in Wien zur internationalen Spitzenklasse. Clemens von Pirquet definierte die Begriffe der Allergie und der Serumskrankheit, Ernst Peter Pick führte bedeutende Versuche zur chemischen Spezifität der immunologischen Reaktionen durch, die Wiener Schule der Zahnmedizin (gegründet von Bernhard Gottlieb) erzielte in den 20er - Jahren ihren Höhepunkt. Alle vier Nobelpreise, die in den nächsten Jahrzehnten an (ehemalige) Wiener Mediziner vergeben wurden - (Robert Bárány (1914), Julius Wagner-Jauregg (1927), Karl Landsteiner (1930), Otto Loewi (1936) - fußten auf grundlegenden Arbeiten aus dieser Zeit. Bis weit in die Erste Republik strahlte die ausgezeichnete Medizin- und Forschungstradition. Mit der in Wien gegründeten American Medical Association of Vienna wurden gut besuchte postpromotionelle Kurse für Ärzte aus aller Welt noch bis in die 1930er-jahre organisiert.
Die größte Zäsur: 13. März 1938
Mit dem sogenannten "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland am 13. März 1938 begann für die Medizin in Wien ihr dunkelster Abschnitt. Mehr als 50 Prozent der medizinischen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, überwiegend jüdischer Abstammung, wurden entlassen, 65 Prozent der Wiener Ärzte ausgeschaltet. Viele renommierte Forscher, Ärzte und Studierende wurden in die Emigration getrieben oder kamen in Konzentrationslagern beziehungsweise auf andere tragische Art ums Leben. Den Opfern des Nationalsozialismus gehört das ewige Gedenken. Die Medizinische Universität Wien hat den 13. März 1938 zur Mahnung und zum Gedenken.
2004: Ein Neubeginn in lebendiger Verantwortung
Nach 1945 begann der schwierige Wiederaufbau der Medizin. Der ehemalige Ruhm war nun vorerst deutlich verblasst. Zudem mussten 1949 rund 75 Prozent der medizinischen Hochschullehrer an der Universität Wien wegen mehr oder weniger schwerer nationalsozialistischer Belastung entlassen und sukzessive durch eine neu ausgebildete Generation ersetzt werden. Dieser doppelte Bruch der Wiener Medizin - innerhalb nur weniger Jahre - wirkte noch Jahrzehnte nach. Mit der Zäsur der am 1. 1. 2004 neu gewonnenen Autonomie übernimmt die Medizinische Universität Wien die Erfolge, aber auch die Verantwortung für die Vergangenheit, um stolz und aufrecht auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu schreiten.